In meiner Arbeit erlebe ich immer wieder unsichere Kinder und Jugendliche die bereits das Social distancing derart verinnerlicht haben, dass sie sich oft nicht mehr trauen ihrem Bedürfnis nach Nähe nachzukommen. Das so wichtige Spannungsfeld zwischen Distanz und Nähe wird durch die aktuelle globale Krise in vielfältigster Weise torpediert. Da können Freunde und Verwandte nicht mehr besucht werden, eine herzliche Umarmung oder ein “In den Arm genommen werden”, als Zeichen von Trost und Mitgefühl, entfallen.
Eine besondere Form der Distanzierung, welche mir täglich begegnet, ist hierbei die Manifestation einer ungesunden Distanz zu sich selbst. Die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und danach zu handeln, stellt jeden Menschen, gleichgültig ob Jung oder Alt, immer wieder vor eine Herausforderung. Nun werden diese Bedürfnisse von außen bestimmt und geregelt. Neben einer Form von verordneter Trägheit in der Eigenbetrachtung, führt dies nicht selten zu mannigfaltigen Störungsbildern.
Dass dies etwas mit uns Menschen und besonders mit Kindern und Jugendlichen macht, ist mehr als offensichtlich. Sie setzen oft ihr Verhalten mit ihrer Persönlichkeit gleich und so ist das Dilemma perfekt. Sie lernen, wenn sie ihre Gefühle und Bedürfnisse äußern und vielleicht auch Wege suchen, nach diesen zu handeln, erfahren sie momentan, dass sie in ihrem “so sein” falsch sind. Die eigenen Gefühle wahrzunehmen, äußern zu können, einen Raum dafür zu erhalten und Verständnis von der Umwelt zu erleben, ist ein zentraler Baustein in der Persönlichkeitsentwicklung und des Selbstkonzeptes. Wenn junge Menschen das Gefühl bekommen, und vielleicht auch zurecht denken, dass ihre Innenwelt und ihr Erleben niemanden interessiert, führt dies zu einem enormen Druck, der nicht zuletzt in Selbstverletzungen münden kann.
Die genauen Auswirkungen und deren Umfang auf unsere Gesellschaft und insbesondere auf unsere Kinder und Jugendlichen, werden wir erst rückblickend analysieren können, doch schon heute sollten wir diese Fragen nicht aus dem Blick verlieren.